AEWO - Alles ein wenig ordentlich
26. Oktober 2015, 19:59

Das Leben im östlichen Teil von Plagwitz in Leipzig

Blick von der Könneritzbrücke Richtung Kanuverleih
Blick von der Könneritzbrücke Richtung Kanuverleih

Seit 2011 wohne ich im östlichen Plagwitz. Für Ortskundige: Ich meine den Bereich zwischen Karl-Heine-Straße, Zschochersche Straße, Industriestraße und der weißen Elster. Ursprünglich bin ich hauptsächlich hergezogen wegen der Aussicht auf einen kurzen Arbeitsweg von 5 Minuten, inzwischen habe ich aber die Vorzüge der Gegend auch außerhalb dieses einen Faktes kennen und schätzen gelernt. Um ein paar Daten zu nennen zu Plagwitz gesamt (entnommen aus am Ende verlinktem Wikipedia-Artikel): auf einer Fläche von 1,63 km² wohnen 14637 Einwohner. Seit 1891 gehört der Stadtteil zu Leipzig und läuft postalisch unter der PLZ 04229.

die 1888 fertiggestellte Heilandskirche im Neogotischen Stil

die 1888 fertiggestellte Heilandskirche im Neogotischen Stil

Plagwitz ist ziemlich alt und war lange ein Dörfchen vor den Toren von Leipzig. Mitte des 19. Jahrhunderts kam dann ein Herr namens Karl Heine und kaufte viel Land auf mit dem Ziel, ein Industrieviertel zu schaffen. Dies gelang ihm auch mit der Folge, dass die Einwohnerzahl rasant stieg und Plagwitz schließlich kurz vor der Jahrhundertwende Teil von Leipzig wurde. Es war dann ein Jahrhundert lang ein typisches Industrieviertel. Mit der Wende und dem Zusammenbruch der Ost-Industrie fielen dann auch hier fast alle Arbeitsplätze weg und der Verfall, der schon zu DDR-Zeiten begann setzte sich rasant fort. Anfang der 90er Jahre war es eigentlich nur noch ein Drecksloch. Im Musikvideo Die da von den fantastischen Vier kann man einen leichten Eindruck davon bekommen, das wurde nämlich hier gedreht. Danach setze dann durch entsprechend niedrige Mieten ein Prozess ein, der zum schönen Viertel führte, den ich im Nachgang schildere.

Neben genannter Nähe zur Arbeit, die natürlich nur ein subjektiver Pluspunkt ist, finde ich den Ort auch aus anderen Gründen super zum Leben. Als erstes ist die schöne strategische Lage zu nennen. Innerhalb von 5 Minuten erreiche ich drei Straßenbahn- und eine Buslinie, wenn ich einen gut 15-minütigen Spaziergang mache erreiche ich noch vier weitere Straßenbahnlinien. Das ist super für jemanden ohne Auto wie mich; man kommt an viele Stellen ohne umzusteigen. In die Innenstadt reicht ein Kurzticket, wenn ich Lust darauf habe schaffe ich es auch in einer guten halben Stunde zu Fuß dahin, obendrein auf einem schönen Weg durch den Park. Da der Bahnhof auch nur 10 Straßenbahnminuten weg ist könnte man auch sagen, dass man in 1,5h mitten in Berlin sein kann, analog natürlich auch andere gut mit der Bahn erreichbare Städte.

Apropos Park, in 5 Minuten bin ich auch im Clara-Zetkin-Park, der schön groß und Teil eines grünen Bandes ist, was Leipzig von Nord-West nach Süd durchteilt. Dadurch kann man auch in genannten Richtungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad von fast der Mitte der Stadt aus die Stadt verlassen, nur im Grünen. So kann man beispielsweise Richtung Süden in 30 Minuten durch Park und Wald radeln und erreicht den Cospudener See. Im Park ist auch der Musikpavillon, wo von Frühjahr bis Herbst jeden Sonntag Nachmittag (und manchmal auch an anderen Tagen) Livemusik ist. Da gehe ich sehr gerne mal hin und nutze entweder die Gastronomie dort oder setze mich auf die Wiese daneben. Nicht weit entfernt ist auch die Parkbühne, wo gelegentlich Konzerte von namhafteren Künstlern stattfinden. In 20 Fußminuten ist man auch am Stadion. Bei RB war ich noch nicht, zum Fußball dort eigentlich nur einmal als beim Confed-Cup Brasilien gegen Griechenland spielte. Bin halt aufgrund meiner Emotionslosigkeit nicht so der Live-Sport-Schauer. Aber für Leute die das mögen wäre das natürlich fein, nah genug um zu Fuß hinzukommen aber nicht soo nah, dass man vom Verkehrs- und Parkchaos beeinträchtigt wird.

Eisenkonstruktion der Könneritzbrücke mit Blick ins Herz des Wohngebietes

Eisenkonstruktion der Könneritzbrücke mit Blick ins Herz des Wohngebietes

Der Fluß den man auf den Bildern öfters sieht ist die weiße Elster. Sie entspringt im Erzgebirge und fließt später in die Saale, die in die Elbe fließt, die sich in die Nordsee ergießt. Leider ist sie von hier aus nicht schiffbar, sonst könnte ich mich gemütlich in einen Einbaum setzen und mich nach Hamburg treiben lassen. So ein Fluß hat die gute Eigenschaft, dass man auf ihm auch Sport machen oder schauen kann. Hier gibt es diverse Bootsverleihe und auch Bootstouren sind möglich (die fahren immer bei meiner Arbeit vorbei, leider hab ich inzwischen kein Fenster mehr zum Fluss) und außerdem ist der Fluß auch eine schöne Landschaftsmarke zum anschauen. Der Nachteil ist ein gewisses Hochwasserrisiko. Vor längerer Zeit ist er auch schonmal über die Ufer getreten und letztes Jahr war es einmal recht knapp. Allerdings lebe ich auf der richtigen Seite des Flusses. Im Fall der Fälle würde er in die andere Richtung überlaufen und Schleußig würde absaufen.

Blick auf die weiße Elster und in etwa die Ecke, in der ich wohne

Blick auf die weiße Elster und in etwa die Ecke, in der ich wohne

Soweit ich das sehe bin ich noch nicht fertig mit schwärmen. Was mir hier im Vergleich mit anderen Stadtteilen immer wieder auffällt: es sind immer Leute jeden Alters auf den Straßen unterwegs, in anderen Stadtteilen wie z.B. Grünau wirkt es auf mich im Vergleich immer regelrecht tot. Man sieht überproportional viele Kinder hier was wohl heißt dass viele Familien hier wohnen. Aber auch alte Menschen sieht man; altersmäßig ist es also gut verteilt. Armut hingegen sieht man kaum, was wohl an den für Leipzig verhältnismäßig hohen Mieten liegt (im Vergleich mit anderen Städten ist es aber immer noch günstig). Resultierend daraus ist das Sicherheitsgefühl auch höher. Ich habe dafür zwar keine Belege, gehe aber davon aus, dass hier abgesehen von Diebstahl oder Einbruch weniger als anderswo geschieht. Durch die vielen Menschen gibt es auch viele Ärzte hier, wenngleich man dort öfters mal lange Terminwartezeiten und volle Wartezimmer hat.

der Veranstaltungsort Felsenkeller, welcher in letzter Zeit wieder häufiger belebt ist

der Veranstaltungsort Felsenkeller, welcher in letzter Zeit wieder häufiger belebt ist

Wie üblich glänzt aber nicht alles. Die schon genannten vielen Menschen und mein Geschwärme, was sicher andere Menschen auch so sehen führt zu Problemen, die sowas eben mit sich führt. Alles ist voller Autos, daher gibt es auch Probleme mit Parkplätzen. Wenn so viele Leute aufeinander wohnen gibt es leider immer auch einen Prozentsatz rücksichtloser Menschen, die im Wohngebiet zu schnell fahren, allen zeigen müssen was für ein tolles Auto sie haben indem sie Motoren immer wieder aufheulen lassen oder wie bei mir gerade die es als Freiheit ansehen unter der Woche nachts laut Technoparties zu feiern (leider habe ich noch nicht festgestellt wo genau es herkommt, vermutlich ist dazu der Leidensdruck noch zu gering).

Ehemalige Fabrik, heute großer Loftkarton und Blickfang

Ehemalige Fabrik, heute großer Loftkarton und Blickfang

Auch kann man hier eine beginnende bis fortgeschrittene Gentrifizierung in Aktion sehen. In einem Wirtschaftssystem wie dem unseren mit freien Märkten passiert das, wenn mehr Menschen in ein Gebiet ziehen wollen als dort Platz ist, setzen sich am Ende meist die durch, die mehr ausgeben können und für finanziell Schwache ist irgendwann kein Platz mehr. Seit ein paar Jahren kann man gut sehen, wie quasi jede Baulücke zugebaut wird und eigentlich immer ist der Wohnraum im hochpreisigen Segment. Das hat normalerweise zur Folge, dass bald alles zugebaut ist und kreative, aber unreiche Leute (z.B. Studenten oder Berufsanfänger) wegziehen. Auch verschwinden dann kleine charmante Läden und große austauschbare Ketten mieten sich ein, da ja auch für Geschäfte die Mieten steigen. Diese Dinge lassen dann den Lebenswert wieder sinken, so dass nach und nach junge Leute und Familien verschwinden und dann auch alsbald die Immobilienblase platzt, Leerstand zunimmt und das Viertel wieder ranzig wird, wodurch sich der Kreis schließt.

Noch ein Blick die weiße Elster entlang, man sieht den Italiener mit Gondel

Noch ein Blick die weiße Elster entlang, man sieht den Italiener mit Gondel

Aktuell ist die Gegend vom skizzierten Lebenswert auf dem Höhepunkt oder knapp darüber, meiner Meinung nach. Wenn die Mieten weiter steigen kann auch für mich irgendwann der Zeitpunkt kommen, wo es mir zu teuer wird und ich mir ein neues hübsches Viertel suche. Auch wenn es schön ist, ewig hier Leben muss ich nicht unbedingt. Wenn ich weiter zur Miete wohne bin ich da flexibel. Wenn ich irgendwann mal Lust auf Wohneigentum habe dann eher ein Häuschen am Stadtrand. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass sich der skizzierte Kreis hier nicht ganz schließen wird, da die gute Lage mit Park, Fluss und Citynähe einfach harte Fakten sind, die konstant bleiben und damit den Lebenswert immer auf einem akzeptablen Niveau halten werden. Man wird sehen. Für den Moment ist es auf jeden Fall schön.

Quellen:

Weitere Bilder:

Kunst am Haus an der Kreuzung Felsenkeller

Kunst am Haus an der Kreuzung Felsenkeller

 

herbstlicher Blick die weiße Elster entlang

herbstlicher Blick die weiße Elster entlang

 

Noch ein Blick auf das große Loftgebäude, welches auch die weiße Elster überspannt

Noch ein Blick auf das große Loftgebäude, welches auch die weiße Elster überspannt